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AEON | Raum, Sprache, Körper


Außenraum

Ich bin draußen, weil sich etwas verändert. Sich verändern bedeutet, dass sich immer etwas bewegt: die Wolken, das Licht, der Wind, die Blätter der Bäume, die Vögel und die Insekten, der Verkehr, die vorbeigehenden Leute.

Der Außenraum ist der Raum in Bewegung schlechthin. Auch wenn es irgendwo draußen noch so still ist, gibt es immer Bewegung.

Wenn ich im Außenraum bin, kommt immer etwas auf mich zu: In meinen Blick gerät diese Pflanze und ich sehe, wie sie sich durch die Ritzen im trockenen Boden schiebt, ich höre das Kreischen dieses Vogels und das Vorbeifahren der Autos, ich spüre die Hitze auf meiner Haut, die Steine unter meinen Sohlen.

Es ist ein vielfältiges Außen, das die ganze Zeit mit meinem Inneren in Verbindung tritt und meinen Sinnen immer wieder Neues zu sehen, zu hören, zu spüren gibt.

Mehr und anders als jeder Studio-, Bühnen oder Ausstellungsraum ändert sich der Außenraum von Tag zu Tag, manchmal von einer Minute auf die andere: Es beginnt zu regnen, die Sonne geht auf, es wird kalt oder warm, das Licht wird klar oder diesig.

Der Außenraum mit seinen Bewegungen bewegt mich: Etwas fällt mir auf, es zieht mich an, ich möchte es sehen, hören, berühren, ich will ihm näher kommen.

Der Außenraum ist unendlich, es gibt immer noch etwas und noch etwas, etwas, das ich noch nicht gesehen habe und etwas, das schon da war, ist jetzt anders.

Die Bewegung im Außenraum kommt nicht primär „von mir“, jede meiner Bewegungen ist ein Angegangen werden von und Zugehen auf das, was schon da ist.

Die wesentlichste Eigenschaft des Außenraums ist seine Weite. Nichts begrenzt ihn. Ich kann immer weiter gehen, weiter schauen, weiter hören. Der Außenraum ist grundsätzlich immer weiter als ich.


Sprache

Die Sprache ist der Raum der Einbildungskraft.

Auf seine Wände werden mit Worten Bilder projiziert. In seinem Inneren gibt es eine Stimme, die die Worte sagt. Ich höre der Sprache zu – beim Lesen, beim Zuhören, wenn jemand anderer einen Text spricht, und auch schon beim Schreiben.

Die Bilder entstehen beim Beschreiben durch die Stimme. Die Bilder der Sprache und das Sagen der Worte passiert gleichzeitig. Ich höre und ich sehe zugleich.

Mein Schädel wird zum Großraum der Einbildungskraft – beim Schreiben eines Texts, beim Lesen oder beim Zuhören, wenn jemand einen Text spricht. Mein ganzer Körper wird in den Schädel eingesogen, existiert dort in absolut verdichteter Form und nimmt mit allen Sinnen alles wahr, was ihm die Einbildungskraft über die Sprache mitteilt.

In meiner sprachgefüllten Schädelhöhle sehe und höre ich alles, was mir beschrieben wird. Der Klang der Worte füllt den Raum zwischen meinen Ohren, die Bilder steigen auf den Innenseiten meiner Augen auf.


Der Raum der Sprache ist extrem verdichtete Bewegung.


Körper

Der Außenraum und der Innenraum begegnen sich im Körper. Im Körper der Machenden und im Körper der Zuschauenden. Die Begegnung des Außenraums und des Innenraums ist eine eigene Bewegung.


Machende

Alle drei Tänzerinnen lassen auf ihre jeweilige Weise die Begegnung von Außenraum und  Sprachraum in und mit sich geschehen. Sie tun das jedesmal von neuem. Jede Performance ist das Geschehenlassen der Bezüge zu dem, was draußen passiert und dem, was sie im Text hören und sehen.

Die Performance ist das Eintreten in die Bezüge.

Der Außenraum ist keine Kulisse und der Text ist, auch wenn ihn die Sprechenden gut und auswendig kennen, keine innere Aufnahme, die abgespielt wird.

Der sich immer verändernde Außenraum und der sich bewegende Sprachraum können keine fixen Bezugsgrößen sein. Die Kunst besteht darin, sich auf das, was im Außenraum und im Sprachraum jetzt, in diesem Moment geschieht, zu beziehen. Das heißt, sich jetzt von den Bewegungen der Landschaft und den Bewegungen der Sprache bewegen zu lassen: Sich von ihnen angehen lassen und auf sie zugehen. Das Innen und das Außen zu öffnen, das Innen dem Außen zuzuwenden, das Außen in das Innen zu lassen. Die Einbildungskraft nach außen und die Umgebung nach innen fließen zu lassen.

Die Tänzerinnen teilen, dass und was sie jetzt hören, sehen, spüren.


Publikum

Die Körper der Tänzerinnen werden zu Öffnungen der Gegenwart.

Über die Körper der Tänzerinnen empfängt das Publikum Bewegungen des sich Beziehens: das konkrete Hören, Sehen, Fühlen jetzt und hier. Es kommt in und mit den Körpern der Tänzerinnen an den Ort – das Hier und Jetzt –, an dem sie sind. Die sprechenden und sich bewegenden Körper der Tänzerinnen öffnen diesen Raum der Gegenwart und die Zuschauenden nehmen an dieser Öffnung teil.

Sie tun das nicht als Unbeteiligte. Es gibt kein Hier und Jetzt ohne die Zuschauenden. Auch wenn sie nichts tun (nicht selbst Performende werden), sind die Zuschauenden da – hörende, sehende, fühlende Körper.

Die Zuschauenden hören, sehen, fühlen mit den Tänzerinnen das, was jetzt geschieht.

Die Tänzerinnen hören, sehen, fühlen die Zuschauenden. Sie beziehen sich mit ihren Körpern, ihren Sinnen auf sie. Sie schauen sie mit ihren Körpern an, sie nehmen sie wahr, sie lassen sie in ihre Körper. Sie teilen sich ihnen mit.

Durch Hören, Sehen, Fühlen entsteht zwischen den Tänzerinnen und den Zuschauenden eine geteilte Gegenwart, die zwar durch die jeweiligen Öffnungen der Sinne entsteht, aber niemandem gehört und auch nicht subjektiv ist.

Es ist nicht die Präsenz der Performerinnen, der die Zuschauenden zuschauen wie einem Gegenüber.

Die Zuschauenden sind von Anfang an Teil der Umgebung. Die Umgebung bewegt die Tänzerinnen.

Die Tänzerinnen haben keine Präsenz, sondern sie teilen das, was sie hier und jetzt sehen, hören, fühlen. Dazu gehört auch die Anwesenheit der Zuschauenden als sehende, hörende, fühlende Körper.

Die Zuschauenden hören, sehen, fühlen die Bewegungen und das Sprechen der Tänzerinnen als Teil des Hier und Jetzt, das diese hervorbringt.

Alle anwesenden Körper teilen hier und jetzt einen Raum der Gegenwart. Publikum, Öffentlichkeit sein, heißt, sich diesem Raum der Präsenz öffnen und in ihm adressiert werden.


Landsberger Allee 358

Die Landsberger Allee 358 ist eine große Brache in Berlin, im Bezirk Lichtenberg, nicht im Zentrum und nicht an der Peripherie der Stadt.

Es ist ein Areal direkt an der sechsspurigen Straße, privat und an fast allen Stellen eingezäunt. Es gibt nur einen Eingang in einer Seitenstraße.

Das Gelände ist weitläufig und vielfältig. An den Rändern gibt es dichtes Gebüsch, an der Südseite Sand- und Schutthügel, davor verläuft ein Streifen aus feinem Sandboden, in der Mitte des Areals liegt Kies, an der Straßenseite Asphalt mit Markierungen. Überall wachsen Pflanzen, auch auf den Schutthügeln und im Sandboden und aus den Ritzen des aufgebrochenen Betons. Es gibt einen einzeln stehenden hohen Baum, er ist in der Nähe des Eingangs.

Auf der Straßenseite sind große Wohnhäuser, Plattenbauten; stadtauswärts sind mehrere Großkaufhäuser für Möbel und ein Baumarkt; hinter den Sandhügeln ist eine Autowaschanlage und ein kleiner Wald. Stadteinwärts ist eine Kleingartensiedlung, ein Garten grenzt direkt an die Brache, ein paar liegen dahinter.

Auf dem Gelände hört man abhängig vom Standort, vom Tag und der Uhrzeit verschiedene Geräusche. Es gibt den Verkehr der Straße, den gleichmäßigen Lärm der vorbeiströmenden Autos, immer wieder unterbrochen durch das Sirenengeräusch von Einsatzfahrzeugen; man hört das Kreischen der Vögel, die im Baum und in den Büschen ihre Nester haben; aus der Waschanlage kommt ein gleichmäßiges Maschinendröhnen. Bei starkem Wind hört man das Flattern der Werbefahnen des angrenzenden Möbelhauses. An heißen Tagen zirpen vereinzelt Grillen.

Die Landsberger Allee 358 ist kein öffentlicher Raum. Es ist keine Straße und kein Platz, es gibt keine Gesellschaft, die sich hier versammelt, es gibt keine zufälligen Zuschauer*innen. Es ist aber auch kein zugewiesener Ort, keine Bühne und kein Ausstellungsraum, keine Institution.

Die Landsberger Allee 358 ist ein offener Ort in der Stadt, eine Weite und ihre Natur.


Texte

Die Texte, die auf der Brache gesprochen und verkörpert werden, stammen aus einem Zyklus, den ich im Sommer 2019 geschrieben und mit einem ersten Titel „Erdkörper“ genannt habe. Es gibt insgesamt 12 Texte, auf der Landsberger Allee werden drei verwendet, jede Tänzerin hat einen.

Alle Texte beschreiben Körper, die in eine Landschaft gehen, die zugleich auf diese Körper zukommt.

Die Texte führen in unterschiedliche Gegenden, folgen aber alle derselben Struktur – alle schildern einen Aufbruch einer Gruppe in eine bestimmte Landschaft und alle tun das in der Zukunft; alle erwähnen eine Stimme, die durch den Körper eines „Ich“ zieht. In allen Texten gibt es neben diesem Ich noch ein Wir und ein Sie und neben der Gegend, in die „wir“ gehen, noch ein „Hier“.

Die Texte sind für Stimmen und Körper geschrieben. Es sind Prosatexte, die aber sehr verdichtet sind und dazu da, laut gesprochen und gehört zu werden.

Die Umgebung und der beschriebene Ort

Ein Text, der einen Ort beschreibt, wird an einem spezifischen Ort im Außenraum gesprochen. Das Verhältnis zwischen Text und Raum ist vollkommen anders als z.B. im Theater. Die Brache spielt eine eigene Rolle, sie ist ein eigenständiger Ort und zwar sowohl als einer, der nicht für das gemacht wurde, was jetzt auf ihm stattfindet, als auch als einer, der sich ständig verändert. Durch die Veränderung destabilisiert sich der Bezug zwischen dem Ort, von dem gesprochen wird und dem, an dem gesprochen wird, er ist jedes Mal anders: Es ist heiß, der Boden sieht nach Wüste aus und der vom Sumpf handelnde Text tritt in einen extremen Kontrast zu dem, was da ist. Es regnet und überall sind Pfützen, der Ort der Umgebung verwandelt sich selbst in die feuchte Gegend aus dem Text. Usw.

Der beschriebene Ort und die Umgebung treten beim Sprechen bzw. beim Hören und Schauen in eine Beziehung, in eine Gleichzeitigkeit. Der im Futur beschriebene Ort des Texts, in den „wir“ gehen werden und die Umgebung, in der „wir“ sind, fangen an, sich zu begegnen. Es gibt eine eigene Bewegung aus Annäherung, Distanzierung, Identifizierung, Verlust zwischen diesen beiden Orten, die bei jeder Performance anders verläuft.

Joséphine, Lisa, Laura – jede spricht von einem Ort an einem Ort. Jede nennt einen Ort, an dem wir nicht sind, an den wir aber gehen werden, während wir hier, an einem anderen Ort sind. Der Ort, an dem wir jetzt sind, wird durch die Beschreibung des Orts, an den wir gehen werden, zum anderen Ort. Der beschriebene Ort wird zu dem Ort, an dem wir jetzt sind, während wir zugleich noch an dem Ort sind, der jetzt der andere ist.

Der beschriebene Ort und der, an dem wir zuerst – vor dem Sprechen und Hören – waren, überblenden sich, schieben sich über- und ineinander. Manchmal treffen sie aufeinander, manchmal sind sie einander sehr fremd, manchmal ist es, wie wenn sie einander anschauen, sich einander zuwenden würden.

Das, was jetzt unsere Umgebung ist und das, was in der Beschreibung einer Zukunft ist, taucht in eine neue Gleichzeitigkeit, in ein gegenwärtiges Hier und Jetzt der Bewegung ihres Bezugs.


Die drei Tänzerinnen

Joséphine, Laura und Lisa haben jeweils einen anderen Text und einen anderen Ort auf dem Areal.

Alle drei Tänzerinnen stellen ihren Bezug zum Raum und zum Text aus. Das ist die Arbeit, ihr Kern. Sie tun das auf jeweils ihre Weise. Der Ort und der Text sind von mir. Es gibt Gespräche darüber, was „sich beziehen“ bedeuten kann, wie es sich anfühlt. Die konkreten Weisen des Sprechens und sich Bewegens sind von den Tänzerinnen. Es gibt keine fixe Choreographie, es sind aber auch keine reinen Improvisationen. Im Laufe der Treffen und der Proben klärt und schärft sich, was für den jeweiligen Körper und in dieser Arbeit, an diesem Ort und mit diesem Text sich auf den Außenraum und auf den Sprachraum beziehen heißt.

Ich habe Joséphine, Laura und Lisa gefragt, weil sie Körper als Sensorium für Gegenwart verstehen, einen autonomen Zugang zu Bewegung haben und jahrelange Erfahrung mit ihrem Körper und ihrer Kunst.

Ich arbeite mit drei Tänzerinnen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie sich aus einer ähnlichen Quelle heraus bewegen wie der, aus der heraus ich schreibe. Der gemeinsame Prozess ist für mich der Weg zu dieser Quelle. Sie transformiert sich dabei. Sie ist nicht „meine“ Quelle, sondern eine, von der wir ebenso sehr immer schon wissen, wie wir sie jedesmal wieder erst entdecken.


Proben

Die Proben bestehen aus langen Gesprächen und langen Sessions aus Bewegen und Zuschauen. Ich bin dabei die, die sich von den Bewegungen und dem Sprechen bewegen lässt. Ich bin die Zuschauerin.

Es muss alles immer in diesem Moment da sein. Wir proben nicht Ausschnitte, wir feilen nicht an Abläufen, wir arbeiten nicht an etwas, das dann noch für andere sein soll. Wir arbeiten nicht an der Gestaltung eines Erlebnisses. Wir arbeiten an den Bedingungen eines Geschehens. Wir tauschen uns darüber aus, was wir jeweils wie empfinden. Wir bleiben so nahe wie möglich an dem, was gerade passiert, und wie und ob und wann konkrete Bezüge zum Außen und zur Sprache jedesmal wieder und jedesmal wirklich in diesem Moment realisiert werden.

Wenn ich probe, aber auch wenn ich schreibe und auch noch bei den Videos, versuche ich dem treu zu bleiben, dass der erste Bezug ein Gefühl ist. Der erste Bezug von Innen und Außen, von dem, was „Ich“ bin und dem, was die Realität ist, ist ein Gefühl. Wir müssen beim Schreiben, beim Proben, beim Hören, Sprechen, Bewegen dorthin kommen, wo wir uns fühlend auf das beziehen, was jetzt ist. Es kann dabei sein, dass eine Tänzerin das gerade jetzt nicht erreicht; es kann aber auch sein, dass ich als Zuschauerin das nicht erreiche, weil ich in dem Moment nicht da bin.

Aber immer mehr und immer entschiedener versuche ich auf das zu hören und in die Nähe dessen zu kommen, was dieser primäre fühlende Bezug ist. Der erste Bezug zur Realität ist kein Gedanke und keine Idee. Der Gedanke kommt später.

Das bedeutet auch, dass das Gefühl den Gedanken hervorruft. Das Gefühl wendet sich dem Gedanken zu. Und der Gedanke ist die Antwort auf ein Gefühl. Es braucht eine Kontaktzone, eine Hinwendung des einen zum anderen, das Gefühl muss offen sein für den Gedanken und der Gedanke für das Gefühl. Wenn das Gefühl den Gedanken (hervor)ruft, dann hört der Gedanke das Gefühl. Der Gedanke hört dem Gefühl zu.

Aus dieser Beziehung von Fühlen und Denken kann dann was entstehen.


Joséphine

Joséphine ist in den Sandhügeln auf der Südseite der Brache. Sie bilden eine Anhöhe, sind mit Blumen, Gräsern und Büschen bewachsen und bestehen neben Sand aus Asphaltstücken und größeren Brocken, die aus einem Abbruch stammen. Es gibt schmale Pfade und eine Mulde, steilere Anstiege und zahlreiche Abhänge.

Joséphine geht einen Weg durch die Hügellandschaft. Sie spricht beim Gehen. Immer wieder bleibt sie dabei stehen, hockt oder kniet sich hin, setzt sich, legt sich auf den Boden. Sie berührt die Erde, die Pflanzen während sie spricht.

Als Besucher*in geht man in die Hügel. Man setzt sich an einen bestimmten Ort und sieht Joséphine alleine gehen und sprechen. Das dauert, ihr Weg ist lang.

Wenn sie bei einem vorbeikommt, schließt man sich ihr an und geht mit ihr mit.

Beim Mitgehen hört man sie. Sie spricht zu einer*m, aber auch zu der Umgebung. Sie schaut eine*n an, aber sie schaut auch in die Weite. Sie sieht eine*n, und sie gibt auch zu sehen. Sie spricht eine*n an, und sie gibt auch zu hören.

Sie lässt sich von der Umgebung bewegen und spricht ihre Empfindung des Texts. Sie teilt ihr Gefühl, ihren Blick und ihren Weg.

Sie teilt auch die Stimme. Die Stimme, von der im Text die Rede ist und die Stimme, die durch Joséphine spricht, ist nicht nur „ihre“ Stimme. Sie kommt aus dem Hören auf die Umgebung: Die Stimme ist schon da, sie ist in den Geräuschen – den natürlichen und den künstlichen –, sie aktualisiert sich in diesem bestimmten Moment in den von Joséphine gesprochenen Worten. Joséphine ist der „Lautsprecher“ einer Stimme, in ihr transformiert sich und artikuliert sich die Stimme von Geräuschen zu Worten.

Ihr Weg durch die Hügellandschaft ist die Bewegung der Berührung von Boden und Körper, von Geräusch und Wort.

Die Stimme ist nicht persönlich, sie ist immer schon eine Aufnahme, von der sich der Körper berühren lässt.

Der Weg ist nicht die Absicht, mit der eine Landschaft durchgangen wird; der Weg ist die Tastspur der Erde auf einem Körper und umgekehrt.


Lisa

Lisa ist vor den Schutthügeln, auf einer großen Fläche, deren Boden sich vom Rest des kiesbedeckten Areals abhebt. Wie herausgeschnitten aus dem anderen Belag liegt da ein großes Rechteck. Die Fläche geometrisch und gerade, ist der Boden selbst feiner als der ihn umgebende Kies und sandig. Er ist sehr trocken, aber dennoch gibt es dünne Halme, vereinzelte Blumen und an manchen Stellen Moos auf ihm. Zum Baum hin wird der Boden fruchtbarer und das Gras wächst dichter und höher, es gibt mehr Blumen und Blüten.

Lisa geht auf dieser Fläche. Sie beginnt an dem vom Baum am weitest entfernten Punkt und bewegt sich im Laufe der Performance auf ihn zu und schließlich wieder zum Ausgangspunkt zurück.

Die Besucher*innen sitzen auf steinähnlichen Brocken, die aus dem Schutthügel stammen; sie gehen umher. Sie haben Kopfhörer auf und hören Lisas Stimme.

Seit Beginn der Proben gibt es für Lisa das Bild des Roboters. Der Roboter empfängt eine Stimme, er hört sie. Sie ruft ihn. Sie ruft ihn irgendwohin, wo er nicht ist.

Der Roboter liebt die Natur, er sehnt sich nach ihr.

Der Roboter geht hinaus in die Natur und nimmt eine Probe.

Lisa steht am äußersten Punkt der Fläche. Es beginnt mit einer Ankunft, die dauert.

Sie geht los. Sie geht immer tiefer in die Fläche hinein. Zuerst ist es eine Linie und eine Richtung, es ist ein Geradeaus, eine Zeitachse. Der Sumpf, von dem im Text die Rede ist, liegt in der Zukunft und die Zukunft ist vorne. Lisa bewegt sich in diese Richtung. Sie ist langsam und sie ist in jedem Moment. Sie verdichtet die Zeit in ihren Händen und Schritten.

Die Linie wird dabei immer mehr zu einer Fläche, das Verhältnis der Zeit zum Raum ändert sich. Die Zukunft ist immer weniger dort und immer mehr hier.

Lisa geht, aber sie ist die meiste Zeit in den Händen. Wie wenn es nicht nur der Boden wäre, sondern vor allem die Luft, aus der sie etwas empfängt. Selbst wenn sie auf dem Boden ist – kniet, liegt, sitzt – ist da Luft dazwischen.

Es ist die Fläche und die Luft, die spürbar wird, der Raum transformiert sich. Aus der Gerichtetheit der Linie entspringt die Fläche und aus der Dominanz des Bodens, eines geometrischen Territoriums, die Omnipräsenz der Luft. Dazu sind es noch die Arme, Hände und Finger, die die Vertikalität und Frontalität des aufrechten, auf dem Boden gehenden oder stehenden Körpers in eine Vielgerichtetheit drehen.


Laura

Laura ist nahe der Straße auf einer Asphaltfläche mit Markierungen. Die weißen Linien erinnern an einen Parkplatz, der Beton ist aufgebrochen, aus den Ritzen wachsen Gras und Blumen. Die Markierungen und der Asphalt formen Parzellen, sie teilen den Boden in Rechtecke ein.

Laura liegt auf dem Rücken in einer bestimmten dieser begrenzten Flächen ungefähr in der Mitte des sichtbaren ehemaligen Parkplatzes und auch in der Mitte der Parzelle. Sie liegt so lange und spürt ihren Körper, bis sie eine autonome Bewegung in sich fühlt, eine Unwillkürlichkeit.

Aus dieser Empfindung heraus bewegt sie sich, von ihr lässt sie sich bewegen. Sie hört auf diese Bewegung und setzt sie in Bezug zu den Bewegungen der Umgebung. Ein Innen, das niemandem außer sich selbst gehört, wendet sich einem Außen zu, das auf andere Weise niemandem gehört.

An der Stelle, an der Laura ist, nicht weit von der sechsspurigen Straße entfernt, ist die Bewegung des Außenraums vor allem Lärm. Der Verkehr variiert je nach Tag und Uhrzeit, Einsatzfahrzeuge und Trucks sind mal mehr, mal weniger dominant.

Ausgesetzt an dieser Stelle bewegt sich der Körper an mehreren Limits und entlang von Transformationen.

Der Beton mit seiner im Sommer gespeicherten Wärme wird zu einer Art Nest. Der Boden ist weich. Er wölbt sich, er öffnet sich.

Der Lärm ist brutal und an der Grenze zu Gewalt. Man hört hier an dieser Stelle die Unmenschlichkeit von Technik, die Maßlosigkeit, das absolute Zuviel.

Man sitzt als Besucher*in auf dem Boden, nicht weit von Laura. Man sieht ihr zu.

Laura bewegt sich nah am Boden, aus dem Boden heraus, in Kontakt mit ihm. Sie liegt, sie richtet sich auf, stützt sich auf die Arme, kniet, hockt, sitzt, richtet sich weiter auf bis auf halbe Höhe, steht auf, dreht sich, weitet die Arme und öffnet die Brust. Sie ist auch dann noch nah am Boden, wenn sie schon steht.

Es gibt einen Fluss in ihren Bewegungen, der sehr langsam ist und sehr still. Die Stille ist der Sound, dem sie folgt; der sie bewegt.

Ihre Bewegungen öffnen eine Stille mitten im Chaos des Lärms. Mitten in der Überwältigung gibt es ein Moment des Insichruhens. Dieses Insichruhen ist eine eigenständige Bewegung. Ihr gibt sich Laura hin.

Mit dieser Hingabe bewegt sich Laura im Einklang mit einem Sound, den wir als die, die sitzen und zuschauen, durch ihre Bewegungen erfahren. Wahrscheinlich schauen wir weniger, als dass wir den Bewegungen zuhören.

Lauras sich bewegender Körper ist vollkommen hörender Körper. Er hört so lange und so intensiv, er hört überall die Bewegung der Stille. Er hört sie in sich, in den Bewegungen des Körpers selbst, er hört sie in dem Text, der in ihrem Körper ist und er öffnet durch dieses Hören die Stille selbst in der Unerträglichkeit des Lärms.

Laura setzt nicht dem Lärm die Stille entgegen, sondern sie öffnet die Stille mitten im Lärm. Irgendwann wird der Verkehr ein Strom, eine unbestimmte Bewegung, die uns nicht attackiert, sondern durch uns fließt.

Der Text, den Laura hört, während sie sich bewegt, hat den Titel „Die nackte Erde“. Sie hört ihn die ganze Zeit. An manchen Stellen öffnet sich der Soundkanal ihres Körpers und sie spricht. Lauras Stimme vermischt sich mit der Umgebung.